Wie lernt ein Umrichter?
Episode 1
Zustandsbasierte Anlagenwartung: Wenn der Umrichter lernt und Fehler erst gar nicht mehr auftreten
In der Industrie sind nur wenige Antriebssysteme mit High-End-Condition-Monitoring-Software überwacht – weil sie oft zu teuer ist. Wenn ein solches System doch zum Einsatz kommt, dann zumeist in kritischen Bereichen. Die Ingenieure Jörg Dannehl und Holger Schmidt von Danfoss Drives wollen das ändern. Sie haben das sogenannte Condition-based Monitoring (CBM) mitentwickelt, das viele Fehler in den Antriebssystemen schnell und zuverlässig erkennt. Jetzt stellt sich vor allem eine Frage: Wie lernt ein Umrichter überhaupt? Und was ist Condition-based Monitoring genau?
Das lässt sich in aller Kürze folgendermaßen erklären: Der Frequenzumrichter bekommt eine neue Steuerkarte und regelt damit nicht mehr nur den Antrieb, sondern erkennt auch noch Fehler. Dabei ist es wichtig, dass der Umrichter nach der Inbetriebnahme die typischen Muster der Anlage erlernt. Mit ausreichend Daten trainiert, startet er dann die Überwachung. Ab diesem Moment warnt ein Ampelsystem den Anwender beim Auftreten von Fehlern in Echtzeit. In der ersten Folge von Drehmoment – Der Antriebspodcast erklären die Experten, wer von der CBM-Anwendung profitiert, wie die Inbetriebnahme funktioniert und warum sie auf die Edge schwören. Hören Sie rein!
Hier schließt sich auch der Kreis zu weiteren Folgen des Antriebspodcasts: In Episode 11 erfahren Sie von Anwendern und Sofwareentwicklern, wie CBM-Daten genutzt werden, um die Anlagenperformance zu erhöhen.
Das Ziel: Instandhaltungszeiten optimieren
Ein typischer Tag im Frühjahr 2020 beginnt. Es ist ruhig im Büro von Erwin Schroter. Das Kalenderblatt ist noch von März, die Büropflanze vereinsamt. Den Mundschutz nimmt er zur Begrüßung nicht ab, er muss ja gleich wieder raus. Seine Kontrollfahrt steht an. Er schwingt sich auf das Fahrrad und radelt durch die Fertigungshalle. Die Anlagen stehen nahezu still, die Kollegen von der Wartung geben jetzt den Takt in der Produktion vor. Werkzeugkisten stehen unter der Fördertechnik, nur die Beine des Mechanikers schauen unten raus.
Schroter grüßt im Vorbeifahren. Seine Kolleginnen und Kollegen sind daheim – Überstunden abbauen, Urlaub und Kurzarbeit. Das Coronavirus zwingt die Industrie vielerorts zum Stoppen der Produktion. Nutznießer, wenn Schroter es so nennen darf, sind die Instandhalter. Von der Zwangspause profitieren die internen Teams – genau wie viele Dienstleister. Doch braucht es in Zukunft überhaupt noch ausgedehnte Wartungstermine? Corona sei eine Sondersituation, man nutze jetzt die Zeit, so Schroter, aber er wünsche sich schon einfachere Systeme zur Überwachung der Antriebe. Immerhin arbeiten die Anbieter seit Jahren an Condition Monitoring und Predictive-Maintenance-Anwendungen. Der Leiter der Instandhaltung hat die Begriffe schon viele Male auf Messen und Kongressen gehört und immer wieder neue Definitionen mitgenommen. Schlauer ist er nicht geworden. Er ist skeptisch.
Der Weg: Frequenzumrichter als Datenplattformen in der Fertigung
In der Industrie sind bislang nur wenige Antriebssysteme mit High-End-Condition-Monitoring-Software überwacht – weil sie oft zu teuer sind, so auch bei Schroter. Wenn so ein System eingesetzt wird, dann nur in kritischen Bereichen. Die Ingenieure Jörg Dannehl und Holger Schmidt von Danfoss wollen das ändern. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen haben eine Anwendung entwickelt, die sich anbahnende Fehler in den Antriebssystemen schnell und zuverlässig erkennt. Condition-based Monitoring heißt die Lösung – ein Mittelweg zwischen Monitoring und Predictive würde es Schroter wohl nennen.
Die Idee ist so einfach wie genial: Der Frequenzumrichter wird durch Neuentwicklungen immer schlauer und regelt lange nicht mehr nur den Antrieb, sondern erkennt auch noch Fehler. Der Umrichter erlernt nach der Inbetriebnahme die typischen Muster der Anlage, definiert den Normalzustand und startet die Überwachung, wenn er mit ausreichend Daten trainiert wurde. Das System gleicht die Modelle aus der Lernphase dann mit dem realen Betrieb ab und gibt im Zweifel einen Alarm. Ein Ampelsystem warnt den Anwender vor auftretenden Fehlern in Echtzeit.
Damit wird der Frequenzumrichter zu einer Datenplattform in der Fertigung, denn in ihm sind viele Daten und Signale verfügbar. Gleichzeitig können externe Sensoren für die Vibrationsüberwachung installiert werden und durch die Rechen- und Speicherkapazität können die Daten analysiert und ausgewertet werden – direkt on the Edge.
„Sensoren liefern Rohdaten: Ströme, Spannungen und interne Temperaturen. Damit können wir den Fluss der Maschinen, das Drehmoment oder die Geschwindigkeit berechnen. Gleichzeitig regelt der Umrichter den Antrieb und wir sammeln Regelungssignale, die weitere Informationen zum Zustand der Maschine liefern,“ erklärt Jörg Dannehl. Der Entwickler spricht von Abtastraten im Millisekundenbereich. Das System kann dann aus den Daten Frequenzspektren, die Aussagen über den Zustand der Maschine zulassen, errechnen.
Die Gewissensfrage: „On the Edge“ und in der Cloud
Viele Anwender scheuen sich vor komplexen Installationen und Anlernphasen gepaart mit IT-Einsatz. Die Danfoss-Ingenieure beruhigen. Die Überwachung läuft auf dem Umrichter, embedded, und die Bedienung kann über das Display des Umrichters oder das Inbetriebnahme-Tool erfolgen.
„Über Remote Monitoring können wir auch eine Verbindung zur Cloud herstellen. Einige Kunden möchten, können oder dürfen wegen Datensicherheitsaspekten diesen Weg noch nicht gehen. Ich glaube aber an hybride Szenarien“, bewertet Holger Schmidt. „Die Installation ist einfach“, versichert er. Abhängig von der Anwendung gibt es zwei Optionen. Im ersten Fall lernt der Umrichter über eine definierte Zeit automatisch und parallel zum Betrieb. Bei der zweiten Option führt der Industrieanwender einen Identifizierungslauf durch. Das bedeutet, der Umrichter führt die Maschine durch den gesamten Drehzahlbereich und bildet dann ein Modell zur Überwachung.
„Übrigens können auch ältere Umrichter problemlos fit gemacht werden,“ ergänzt Schmidt. Durch ein recht einfaches Upgrade können auch Bestandsanlagen überwacht werden.
Zum Schluss: Condition-based Monitoring vs. Predictive Maintenance
Für Schroter ist der Unterschied zwischen Predictive und Condition-based Monitoring noch nicht ganz klar. „Predictive arbeitet mit statistischen Lebensdauermodellen. Beim Condition Monitoring werten wir Fehlersignaturen aus und überwachen den aktuellen Zustand“, fasst es Dannehl zusammen. Und Schmidt geht noch einen Schritt weiter: „Wir werden in Zukunft nicht mehr nur den Motor überwachen. Wir installieren zwei Schwingungssensoren und kommen so einer Systembetrachtung der Anlage näher.“
Systembetrachtung?! Das klingt für Schroter nach Wettbewerb zur SPS. „Nein, Condition Monitoring mit Umrichter steht nicht im direkten Wettbewerb mit der Steuerung. Viel mehr muss es ein Zusammenspiel sein. Der Umrichter kann in einfachen Anlagen Funktionen der Steuerung übernehmen. Das kann auch dann Sinn machen, wenn dadurch eine SPS eingespart werden kann“, unterstreicht Dannehl. Schmidt ergänzt: „Wir machen mit unserem Umrichter eine dezentrale Voranalyse, aber die Steuerung wird weiter ihre Daseinsberechtigung haben – genauso wie die Instandhalter-Teams.“
Das hören die Kolleginnen und Kollegen in der Anlage sicher gerne. Drei Tage haben sich noch, dann soll die Produktion wieder voll starten. Schroter freut sich schon.